Wie trällerten The Buggles damals in den frühen 80ern mal so schön: „Video Killed The Radio Star“ – aber stimmt das denn wirklich? Denn wenn man sich die heutige Medienlandschaft so anschaut, scheint das Radio noch lange nicht tot zu sein.
Klar, in Zeiten von Spotify und Co. ist linearer, fremdgesteuerter Musikgenuss weniger interessant, als sich von Algorithmen einen willkürlichen Song nach dem anderen in die Ohren leiern zu lassen. Aber es gibt durchaus noch weiterhin Leute – mich mit eingeschlossen – die durchaus gerne den redaktionell kuratierten Klängen aus dem heimischen Weltempfänger lauschen. Oder aus dem Autoradio.
Dabei ist das gute alte Medium Radio noch bei weitem nicht in der Vergangenheit stecken geblieben, wie man eigentlich meinen könnte.
Im Gegenteil: Etliche Radiosender allein im deutschsprachigen Raum haben sich ihrem größten Konkurrenten angenommen und präsentieren ihr Programm zusätzlich auch im Bewegtbild.
Und wer jetzt denkt, dass dieses sogenannte Visual Radio eine Schöpfung des digitalen Zeitalters ist, der irrt gewaltig.
Schon in den goldenen Stunden des Fernsehens versuchten sich Programmschaffende zahlreicher öffentlich-rechtlicher Hörfunkwellen an der einzigartigen Konvergenz aus Fernsehen und Radio.
Vor einiger Zeit hatte ich ein sehr spannendes Video in meiner Abobox auf YouTube: Einen Fernsehmitschnitt der N-Joy „Morgencrew“, die seinerzeit im dritten Programm des NDR „N3“ ausgestrahlt wurde. Dokumentiert vom User @RadioXtra.
Inhaltsverzeichnis
Einmal Radio mit alles
Während in heutigen Zeiten ferngesteuerte PTZ-Kameras, Grafik- und Schnittautomation sowie die nüchterne Radiostudioatmosphäre das visuelle Begleitprogramm dominieren, hat sich der Norddeutsche Rundfunk bei seiner damaligen Interpretation alles andere als lumpen lassen.
Neben mehreren geschulterten Kameras wurde das Studio mit Moving-Head-Scheinwerfern, kreuz und quer zusammengestellten Röhrenbildschirmen, und jeder Menge Effektbeleuchtung und Dekoration gespickt.
Grafisch wurde ebenso einiges aufgefahren. Neben den gewohnten Einblendungen in stilechter 90er-Jahre-Optik wurden die DVE-Effektgeräte im Ü-Wagen regelrecht zum Glühen gebracht. Gefühlt wurde in jeder Musikpassage des Programms keine Option der Bildverfremdung ausgelassen. Damit war die Show aber auch definitiv nix für Leute, die zu Epilepsie neigen könnten. Selbst als Moderator:in hätte man da schon locker Gefahrenzulage verdient. Die 90er waren halt eben anders wild.
Wiederum sehr schön war die vom Timing immer gut abgepasste Introanimation für die Top Of The Hour, sowie die ausgewählten Musikstücke, die im Fernsehen mitsamt Musikvideo zu sehen waren. Ich kann nur mutmaßen, aber da wurde mit Sicherheit das Radioprogramm per Zuspielleitung direkt aus der MAZ im Übertragungswagen bespielt.
Ein Aufwand, den man sich heutzutage kaum noch machen würde.
Gewöhn dich nicht dran
Beim ersten Schauen des Videos hatte ich erst überlegt, ob es sich hierbei um eine tägliche Show im sogenannten „Norddeutschen Fernsehen N3“ gehandelt hat. Aber wenn man sich den ganzen Trubel im Studio etwas länger anschaut, sollte einem schon schnell klar werden, dass man sich diesen Produktionsaufwand nicht regelmäßig antun kann. Erst recht nicht als gebührenfinanzierte ARD-Anstalt.
Die „N-Joy Radio Morgencrew“ kam in unregelmäßigen Abständen für meistens zwei Wochen am Stück auf die heimischen Bildschirme.
Im Grunde eine kleine, bunte Sonderaktion, um das junge Radioprogramm der heimischen Landesrundfunkanstalt tiefer in den Köpfen der Zielgruppe zu verankern.
Es grenzt ja schon fast an ein Wunder, dass (zumindest in den online dokumentierten Ausschnitten) keiner über die ganze Kabellage gestolpert ist, von den Kameras im Vorbeigehen ausgeknockt wurde, oder gar durch in die Augen leuchtende Moving Heads erblindet ist. So ist es der Morgencrew-Moderatorin Antje Diller an einem Punkt der Show fast passiert.
Was ich darüber hinaus noch ein sehr spannendes Detail fand, waren die durchweg der Kamera zugewandten Moderationen. Selbst die Nachrichtenmoderatoren Claudia Stocksieker und Thomas Ziegler haben beim Verlesen ihrer Meldungen stetig den Blick in die Kamera gehalten. Da gehörte sicher einiges an Umgewöhnung dazu, starrt man doch sonst stetig am Ploppschutz vorbei auf sein Nachrichtenmanuskript.
Ebenso die Interaktionen des ganzen Teams während der Moderationspausen, die in die Kamera gehalten Faxe der Hörer:innen, das Spielen mit den Mini-Kameras auf dem Radiopult und die TV-exklusiven Zwischenmoderationen, in denen die Morgencrew auf Fragen der Zuschauerschaft eingegangen ist und damit einen tieferen Blick hinter die Kulissen gegeben hat. All das machte das ganze für mich zu einem äußerst spannenden Spektakel. Auch heute noch – knapp 25 Jahre später.
Der NDR hat sich aber zu der Zeit nicht alleinig an die Verschmelzung von Hör- und Fernsehfunk gewagt. Auch andere ARD-Anstalten ergänzten ihre Morgenstrecken in den dritten TV-Programmen um die beliebten Morningshows der Radiowellen.
Der Hessische Rundfunk brachte mit „Pop und Weck TV“ die gleichnamige Morgensendung auf die heimischen Bildschirme. Ebenso schickte Bayern 3 die eigene Morningshow als „Backstage TV“ ins Bayerische Fernsehen.
Beide Sender sind aber insgesamt mit deutlich weniger Aufwand aufgefahren, als die Kolleg:innen aus dem hohen Norden. Mit Ausnahme vielleicht der ein oder anderen fernsehoptimierten Moderationseinlage durch hr-Moderator Matthias Münch. Dafür konnten diese Sendungen wiederum sicher in deutlich häufigerer Frequenz auf die Mattscheibe gebeamt werden.
Aber genau kann ich das heute leider auch nicht mehr beziffern. Schließlich komme ich ja aus dem Sendegelände von SFB und ORB.
Weniger ist mehr
Heutzutage backt man in der gesamten deutschsprachigen Radiolandschaft deutlich kleinere Brötchen. Selbst bei unseren Nachbarn in Österreich von Hitradio Ö3, die seit vielen Jahren einen 24-Stunden-Videofeed aus dem Studio betreiben, verlässt man sich mittlerweile auch auf fest installierte, ferngesteuerte Kameras.
Dabei hatte man selbst dort in den 90ern ähnlich große Geschütze wie der NDR aufgefahren. Neben dem fast schon obligatorischen TV-Sendeplatz bekam man auch hier deckungsgleiche Musikvideos und Zwischenmoderationen während der Werbestrecken dargeboten.
Mit dem Umzug ins neue ORF-Zentrum am Küniglberg hat Ö3 den Production-Value für seinen 24/7-Videofeed nochmals stark reduziert. Zwar gibt es nach wie vor mehrere fest installierte Kameras im Studio; die meiste Zeit wird jedoch das Bild aus nur einem der Blickwinkel gezeigt.
Auf visuelle Spielereien im Studio, die es am alten Standort vermehrt gab, verzichtet nun man ebenfalls. So gibt es nun keinerlei Monitorflächen im Studio, auf denen offene Mikros mit einem plakativen „ON AIR“ oder der laufende Verkehrsfunk durch ein „VKS“ (Verkehrsservice) für die Stream-Zuschauenden visualisiert wird.
Auch die Nachbarn beim SRF, sowie der rbb und der SWR setzen stark auf Automation bei der Umsetzung des Bewegtbildprogramms.
Kein Wunder eigentlich, schließlich war Visual Radio schon immer eher als ein reines Begleitmedium gedacht. Mehrwert für den Radiohörenden, der aber nicht den Fokus vom eigentlichen Produkt nehmen sollte. Erst recht nicht in Sachen Produktionsaufwand.
Im Bestfall kann man so mit relativ wenig zusätzlicher Energie neue Hörer:innen generieren, die bisher noch nicht in den Genuss der allmorgendlichen Krönung mit dem Verhöhnaroma gekommen sind.
Und was besseres können gerade ARD-Anstalten fast nicht machen, um das Frühprogramm im TV mit etwas mehr Leben zu füllen, als der 261. Wiederholung von „Löwe, Wildschwein und Co.“.
Das perfekte Nebenher-Programm für die nicht studierende Zielgruppe ist doch schon fertig. Es muss eben nur noch gesendet werden.
Was meint ihr: Wusstet ihr überhaupt, dass eure Lieblingswellen sich hin und wieder ins Fernsehen verirrt haben? Oder habt ihr dem Dudelfunk schon vor längerer Zeit Adieu gesagt?
Schreibt mir es gerne in die Kommentare!
Auch wenn ihr Ergänzungen für meine kleine Liste an noch heute konsumierbaren Visual-Radio-Formaten habt, die ich euch hier unten mal zusammengetragen habe.
Visual Radio heute
Deutschsprachige Hörfunkwellen mit Bewegtbildprogramm
Stand: Juli 2023
- rbb 88.8 • Guten Morgen Berlin
Montag–Freitag, 6:00–8:00 Uhr im rbb Fernsehen (Berlin) - Antenne Brandenburg (rbb) • Guten Morgen Brandenburg
Montag–Freitag, 6:00–8:00 Uhr im rbb Fernsehen (Brandenburg) - SWR3 • 24h-Livestream
Montag–Freitag, 6:00–7:55 Uhr im SWR Fernsehen (BW/RP) - UNSERDING (SR) • Der Nachmittag
Montag–Freitag, 14:45–19:45 Uhr auf unserding.de - Hitradio Ö3 • 24h-Livestream
- SRF 1 • 24h-Livestream
- SRF 3 • 24h-Livestream
Montag–Freitag, ab ca. 6 Uhr und ggf. ab 12 Uhr in SRF zwei - SRF Musikwelle • 24h-Livestream (kein ständiges Livebild)
- SRF Virus • 24h-Livestream (kein ständiges Livebild)
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